Die Hieroglyphe im 18. Jahrhundert by Annette Graczyk

Die Hieroglyphe im 18. Jahrhundert by Annette Graczyk

Autor:Annette Graczyk [Graczyk, Annette]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2014-11-20T00:00:00+00:00


D. Die Hieroglyphe als Abglanz des Göttlichen in theosophischen Konstruktionen

1. Natursprache, Naturschrift und Hieroglyphik in der Theosophie von Louis-Claude de Saint-Martin

1.1 Saint-Martin und der Martinismus

Der französische Theosoph Louis-Claude de Saint-Martin gilt als einer der wichtigsten Vertreter esoterischer Theoreme im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Er steht mit dieser Bedeutung neben dem schwedischen Naturforscher Emanuel Swedenborg, der sich nach einer persönlichen Krise zum Geisterseher gewandelt hatte, und neben dem deutschen pietistischen Theologen und Pfarrer Friedrich Christoph Oetinger, der Swedenborgs visionäre Lehren in Deutschland bekannt gemacht hat. Anders als Oetinger meinte Saint-Martin später, Swedenborg sei auf halbem Wege stehen geblieben.526

Saint-Martin erfuhr seine esoterische Schulung im französischen Freimaurer-Orden der Elus Coëns, dem er 1768 – mit 25 Jahren – beitrat.527 Diesen Orden hatte dessen Großmeister Martines de Pasqually528 seit Anfang der 1760er Jahre in Bordeaux und Paris aufgebaut. Weitere Logen entstanden in Städten wie Lyon und Toulouse.529 Die Mitglieder verstanden sich als „Chevaliers-Maçons Elus Coëns de l’Univers“, das heißt als freimaurerische Ritter, die zu Priestern des Universums auserwählt waren. Mit dem Namen „Coëns“ oder auch „Cohen“ zeigten sie den Anspruch an, in der Nachfolge eines althebräischen Priestertums zu stehen, das teils auf Aaron, den Bruder von Moses,530 teils auf Salomon531 zurückgeführt wird. Mit dem Anspruch, in der Tradition dieses Priestertums zu stehen, betrachteten sie sich als Verwalter geheimer Offenbarungen bzw. Initiationen.

Martines de Pasqually begründete die maßgebliche Lehre und die Riten des Ordens. Durch die Einbeziehung ägyptischer, griechischer und orientalischer Geheimlehren wollte er u.a. die alttestamentarische Geschichte des Sündenfalls sowie die neutestamentarisch-christliche Erlösungslehre in einer übergreifenden, gnostischhermetisch inspirierten Theosophie auffangen. Er und nach ihm auch Saint-Martin kamen mit diesem Ansatz dem beginnenden zeitgenössischen Interesse an ethnologischen und religionsvergleichenden Studien entgegen und machten sich für die entsprechenden Diskussionen anschlussfähig. Die synkretistisch zusammengesetzte Lehre, die sich als uralte geheime Offenbarung ausgab, beanspruchte nichts weniger, als einen Universalschlüssel zu den Mythen und Religionen der Welt zu liefern. In sie waren neben einem fundamentalen Neuplatonismus weiterhin Elemente der christlichen Kabbala und des Neupythagoreismus eingewoben, so wie sie seit der Renaissance ausgeformt worden waren. Entscheidend und für Saint-Martin maßgeblich ist Martines de Pasquallys aus der spätantiken Gnosis übernommener Mythos, dass der Mensch in einem depravierenden Fall aus der sprirituellen Welt in die Materie abgestürzt sei.532

Auch das komplementäre Konstrukt der Gnosis, die „Reintegration“ des Menschen in das Geistige, übernimmt Saint-Martin von Martines de Pasqually.533 Für diese Errettung ist die in Teilen gewaltsame Reinigung von der depravierenden Materie die vordringlichste Voraussetzung. Saint-Martin spricht von einem reinigenden „Feuer“, wie es die spätantike Gnosis in ihren eschatologischen Aussagen verkündet, verlegt es aber in das irdische Leben.534

Die „Reintegration“ soll den Menschen in seinen ehemaligen Stand einer von der Materie noch ungetrübten, reinen Geistherrlichkeit zurückversetzen, aus der sie durch den Fall in das Körperliche gerissen worden war. Saint-Martin sieht es als seine Mission an, den Menschen zu zeigen, dass die übersinnlich-spirituelle Welt ihre eigentliche Heimstatt sei. Die Rückführung des Menschen in sie versteht er aus der dualistischen Sicht der Gnosis heraus als Wiederherstellung seiner eigentlichen „Einheit“ und „Ganzheit“.535

Als Sekretär von Martines de Pasqually gelangte



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